Vor kurzem erschien im Sammelband „Migrationsforschung (inter)disziplinär – Eine anwendungsorientierte Einführung“ herausgegeben von Merve Schmitz-Vardar, Andrea Rumpel, Alexandra Graevskaia and Laura Dinnebier, der Artikel „Methodische Zugänge zur diskursiven Einbettung im transnationalen Raum – Eine Analyse der diskursiven Reaktionen türkeistämmiger Verbände auf den Anschlag von Hanau“.

Der Beitrag widmet sich der Frage wie diskursanalytische Zugänge in das Feld migrantischer Diskursakteur*innen der Mesoebene eröffnet werden können. Im konkreten Fall werden hierbei die diskursiven Reaktionen türkeistämmiger Migrantenorganisationen auf den rassistischen Anschlag von Hanau vom 19. Februar 2020, mit dem Ziel Erkenntnisse über die Selbstwahrnehmung/-konstruktion der Organisationen zu gewinnen. Neben einer thematischen Rezeption rassistischer Gewalt aus türkeistämmiger Perspektive geht es somit allem voran um die Frage, inwiefern der Aspekt der transnationalen Einbettungen von Migrantenorganisationen aus einer diskurstheoretischen Warte erfasst werden kann.

Ein Ausschnitt:

Obwohl sich die Pressemitteilungen der türkeistämmigen Migrantenorganisationen (TMO) grundsätzlich an eine gesamtdeutsche Öffentlichkeit richten, deuten die Ergebnisse der Feinanalyse darauf hin, dass sich die diskursiven Handlungen in erster Linie an speziellen Wissens- und Argumentationsformationen des türkeistämmigen Kontextes orientieren. Im Vergleich zu gesamtgesellschaftlichen Diskursen der Türkei oder der Bundesrepublik verfügen diese Wissensformationen über abweichende Bewertungen/Gewichtungen gesellschaftspolitischer Ereignisse. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist die Herstellung einer Erzählung über rassistische Gewalt von Solingen, über den NSU hin zu Hanau. Im Fokus dieser Narrative steht nicht nur die Kontinuität rechtsextremer Anschläge in Deutschland, sie unterstreichtauch Wahrnehmungsmuster aufgrund der Herkunft aus der Türkei gezielt Opfer rassistischer Gewalt zu sein. Entgegen einer Argumentationspraxis auf Basis der Wissensformationen des exklusiv deutschen oder türkischen Gesellschaftsdiskurs agieren die TMO somit zunächst aus einer »türkeistämmigen« Diskurslogik heraus. Die diskursive Einbettung von TMO ist daher nicht als Abweichung vom deutschen Gesellschaftsdiskurs zu verstehen, sondern in Form eines türkeistämmigen Subdiskurses in diesen integriert. Die transnationalen Einflüsse auf die diskursiven Handlungen der TMO werden daher viel weniger durch die Latenz der aufnahme- bzw. herkunftsgesellschaftlichen Bezüge ersichtlich, als viel-mehr in den hervorgebrachten Argumentationsstrukturen, die von einer Ver-mengung/-mischung verschiedener diskursiver Einflüsse in einem gesonderten (evtl. diasporainternen) Subdiskurs ausgehen. So ist zu beobachten, dass– zumindest auf der Meso-Ebene – eine neue Form der diskursiven Vergesellschaftung im Sinne des Konzepts der Transnationalisierung stattzufinden scheint, in der communityspezifisches Wissen und daraus resultierende Aussageverflechtungen eine gewisse Handlungsrelevanz besitzen.

Söylemez, Seçkin (2022). Methodische Zugänge zur diskursiven Einbettung im transnationalen Raum. Eine Analyse der diskursiven Reaktionen türkeistämmiger Verbände auf den Anschlag von Hanau. In: Merve Schmitz-Vardar/ Andrea Rumpel/ Alexandra Graevskaia/ Laura Dinnebier (Eds.), Migrationsforschung (inter)disziplinär (51-78). Bielefeld: transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839460948-004

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