Was geht in Duisburg? Teil 1 – Aktionsforschung

Jess Palka & Sarah Y. Kanatli

Im letzten Wintersemester (Oktober 2021 – März 2022) nahmen fünf Student:innen der MA-Studiengänge Soziologie und Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen an dem Seminarmodul “Community-Based Research in Marxlohs ‘Hidden’ Economy” teil. Ziel des Moduls war das Kennenlernen von kommunalen Forschungspartnerschaften durch einen erfahrungsbasierten Lernansatz. Der Kurs ist nur eine Phase der laufenden Bemühungen, eine solche Partnerschaft zwischen der Universität, lokalen Praktiker:innen und idealerweise den Bewohner:innen selbst zu entwickeln, um ein besseres Verständnis und innovative Lösungen für lokal festgelegte sozioökonomische Probleme zu finden.

Gemeinschaftsorientiertes Lernen

Die Student:innen lernten, wie man einen Forschungsvorschlag entwickelt, der mit den Prinzipien, der Politik und den Praktiken der gemeinschaftsbasierten partizipativen Forschung (Community-Based Participatory Research; CBPR) in Bezug auf eine reale sozioökonomische Herausforderung übereinstimmt. Dieser Forschungsansatz unterstreicht den Wert des Erfahrungslernens und der kritischen Auseinandersetzung mit den typischen Annahmen über die Ziele und Methoden der Sozialforschung, einschließlich der Frage, wessen Wissen ein- oder ausgeschlossen wird. Durch die Betonung des Engagements der Gemeinschaft, des kritischen Denkens, der Position des Forschers, der gemeinsamen Schaffung von “Wissen” und der methodologischen Vielfalt ist CBPR ein pädagogischer Versuch, die universitären Lehrpläne zu dekolonisieren. Das Ziel ist eine Zusammenarbeit zwischen Forscher:innen und Menschen aus der Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen bei der Planung und Durchführung von Forschungsprojekten, die den lokalen Bedürfnissen entsprechen und einen positiven sozialen Wandel bewirken sollen.

Einerseits profitieren die Student:innen davon, dass sie praktische Erfahrungen im kollaborativen Projektmanagement sammeln, theoretisches und praktisches Wissen kombinieren, um reale Probleme zu lösen, und dabei gleichzeitig ihre so genannten „harten“ (methodische, technische) und „weichen“ (Präsentation, Moderation, Teamarbeit) Fähigkeiten verbessern (Kindon & Elwood, 2009; Pain et al., 2013; Strand et al., 2003). Andererseits lernen die Community-Partner:innen von den wissenschaftlichen Fähigkeiten, dem Wissen und Enthusiasmus der Universitätsstudent:innen und es nutzt ihnen der Raum, den sie in ihrer täglichen Arbeit nicht hätten für Diskussion und Reflexion entlang der Forschungsfragen. Ebenso profitieren sie von dem Aufbau und der Stärkung einer langfristigen Partnerschaft zwischen der Gemeinschaft und der Universität im Hinblick auf die Erfüllung lokaler Bedürfnisse profitieren (University College Cork, 2021).

Der Kurs zielte darauf ab, den Student:innen nicht nur Konzepte oder Daten, sondern auch den Stadtteil Marxloh mit seinen Bewohner:innen selbst näher zu bringen, so dass sie ihr Verständnis der lokalen Probleme durch Dialoge und Zusammenarbeit verbessern können, anstatt nur an einem Computerbildschirm zu lernen. Während des Semesters trafen sie sich viermal mit einer Gruppe von Praktiker:innen der Werkkiste Duisburg, des Kommunalen Integrationszentrums (KIZ) Duisburg und der (damals) Entwicklungsgesellschaft Duisburg-Marxloh. Das Ziel war über die Herausforderungen im Bereich der Migrantenfürsorge in Marxloh aufgeklärt zu werden, die lokalen Organisationen, Initiativen und Bündnisse kennenzulernen, die zur Bewältigung dieser Herausforderungen gegründet wurden, das Gebiet zu besichtigen und die öffentlichen Räume zu sehen, in welchen jene Projekte durchgeführt werden, und schließlich, um ein Feedback zu ihren Forschungsvorschlägen zu erhalten.

Praktiker:innen sagten, dass die Student:innen motiviert waren und neue Ideen und Konzepte zum Verständnis der Situation einbrachten. Sie räumten zwar ein, dass die Projektziele hochgesteckt sind und die Zielgruppe nur schwer für die vorgelegten Fragen zu gewinnen sein wird, da das Misstrauen aufgrund schlechter Erfahrungen zu groß ist. Dennoch könnte die Arbeit für alle Beteiligten – Kommunen, Zugewanderte, Studierende, Forscher:innen aus diesem Themenfeld – sehr gewinnbringend sein. Die meisten berichteten, dass die Erfahrung letztlich interessant und lohnend war und dass weitere Partnerschaften zwischen der Gemeinschaft und den Universitäten sowohl wünschenswert als auch fruchtbar wären. Allerdings braucht der nachhaltige Kontaktaufbau zu den vor Ort lebenden Menschen Zeit, Ausdauer, Geduld, einen langen Atem und sprengt die Möglichkeiten eines zweisemestrigen Praxisforschungsprojektes.

Eine Studentin, Sarah Kanatli, berichtete dass:

“… das Seminar war in dem recht theorielastigen Studium eine willkommene Abwechslung. Der Drang neue Erfahrungen zu sammeln und die Möglichkeit zu haben, an einem praktischen Forschungsprojekt teilnehmen zu können, förderten schon zu Beginn die Motivation bei uns Student:innen sich besonders anzustrengen. Über das Semester hinweg wurden uns nicht nur die themenbezogenen Theorien praxisnah vermittelt, sondern insbesondere durch den Austausch mit den Praktiker:innen, die intensive Stadtteilarbeit näher gebracht.

Auf diesem Wege wurde allerdings auch schnell deutlich, dass Einblicke in das wirkliche Leben, sowie in echte Forschungsprozesse, samt logistischer, zeitlicher und monetärer Aufwände, ein großer Mangel im Lehrplan sind. Dabei könnten sowohl die Forschung, als auch die Stadtteilarbeit maßgeblich von einem gemeinsamen Austausch profitieren.

Während des Seminars galt es auf der persönlichen Ebene die positiven und negativen Erkenntnisse zu verarbeiten und sich der Verantwortung, welche das Projekt mit sich brachte, bewusst zu werden. Wir begriffen schnell, dass Marxloh von der Politik nahezu vorsätzlich vernachlässigt wird, und die Bewohner:innen und Prakter:innen tagtäglich vor immensen Herausforderungen stehen. So wie das Projekt einen prägenden Einfluss auf uns hatte, hofften wir daher auch einen hilfreichen Beitrag leisten zu können.

Dies erwies sich jedoch schwerer, als gedacht, da wir u.a. durch die Covid-19-Pandemie nicht in den direkten Austausch mit den Bewohner:innen treten konnten, aber auch, da wir immerzu die Sorge in uns trugen durch mangelnde Erfahrung für erneute Enttäuschung im Stadtteil zu sorgen. Ferner fühlten sich Begehungen des Stadtteils recht unangenehm an, da wir nicht den Anschein erwecken wollten, dass wir uns an den teils prekären Lebensumständen ergötzen [„slum tourism“]. Es ist sehr deutlich geworden, dass jene Projekte reichlich Aufklärung, Empathie und Unterstützung von verschiedenen Instanzen für ein erfolgreiches Gelingen benötigen.

Ich hoffe sehr, dass die Forschung mit den Praktiker:innen zukünftig zusammen kommt, und Projekte zur Abhilfe des Stadtteils konzipiert, sowie umsetzt, insbesondere, da in diesem Rahmen kein tatsächliches Forschungsprojekt umgesetzt wurde.“

Lesen sie hier weiter: Was geht in Duisburg Teil 2.

Quellen:

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Lee, G. (2021, April 1). Coronavirus: What went wrong at Germany’s Gütersloh meat factory? BBC News.

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Authors: Jess Palka & Sarah Y. Kanatli